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Leseprobe aus Kapitel 5.2 : Die Toxine lebendiger Borrelien
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5.2.1 Das Übersäuerungs-Toxin (Glycin-Toxin)

Betrachten wir nun endlich das erste Gift, das die Borrelien produzieren. Wir wollen es Übersäuerungs-Toxin nennen. Wie wir bereits wissen, entfalten die meisten Borrelien-Toxine ihre Wirkung an den Nerven. So auch dieses Gift.

Es wird von den Borrelien hergestellt, um das Körpermilieu für sich besonders angenehm – d. h. sauer – zu gestalten. Bevor sie dieses Toxin produzieren, „analysieren“ die Borrelien jedoch den Säure-Basen-Haushalt des Organismus, den sie mittlerweile besiedeln.

Ist dieser Körper bereits übersäuert, so ist das Übersäuerungs-Toxin überflüssig und wird kaum produziert.

Haben die Borrelien sich allerdings einen Wirt ausgesucht, der nicht unter einer allgemeinen Körperübersäuerung leidet, so ist es das Toxin, das als erstes und am intensivsten hergestellt wird. Denn es soll – wie sein Name schon sagt – eine Übersäuerung herbeiführen.

5.2.1.1 Wirkung auf Glycin-Rezeptoren

Da die Borrelien ihren Wirt ja nicht dazu bringen können, ab sofort ungesund zu leben, haben sie sich mit diesem Toxin etwas ganz perfides einfallen lassen, um eine Übersäuerung herbeizuführen: sie erhöhen das Streßniveau.

Die Hauptwirkung des  Übersäuerungs-Toxins entsteht dadurch, daß es den Rezeptor für einen speziellen Neurotransmitter mit Namen Glycin blockiert...

Die größte und für uns wichtigste Rolle spielt Glycin im Bereich des Zentral-Nervensystems – also in Gehirn und Rückenmark. Hier ist es nämlich der wichtigste Botenstoff – also Neurotransmitter – um dämpfend auf die Aktivitäten des Zentral-Nervensystems einzuwirken...

Recht klar wird einem dieser Vorgang an folgendem Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie haben am Abend noch eine Besorgung zu machen. Dabei müssen Sie eine Wegstrecke zurücklegen, die von dichten Büschen gesäumt ist.

Plötzlich raschelt es und Sie erschrecken. Beim schnellen Hinschauen sehen Sie allerdings, daß nur eine Katze durch das Gebüsch streicht. Sofort entspannen Sie sich wieder.

Diese Entspannung kann nur stattfinden, weil Glycin sofort die Rezeptoren besetzt und damit das erregte Nervensystem beruhigt.

Dazu ist folgender Vorgang nötig: Ihre Ohren (Sinnesorgane) nehmen das Geräusch auf und leiten es über sensorische Nerven in das Zentral-Nervensystem bis zum Großhirn. Hier findet eine Interpretation dieses Geräusches statt und es wird festgestellt, daß eine gefährliche Situation vorliegen könnte.

Es kommt nun unmittelbar zur Ausschüttung eines Neurotransmitters mit Namen „Noradrenalin“, um den Körper in Flucht- oder Kampfbereitschaft zu versetzen. Wir merken das als „Erschrecken“.

Gleichzeitig wird reflexartig über das Kleinhirn eine zweite Ansicht zu dieser Situation eingeholt. Nämlich die Meinung der Augen. Wir schauen dorthin, wo das Geräusch herkam.

Die Augen (auch Sinnesorgane) geben die Information über ihre Beobachtung ebenfalls über sensorische Nerven an das Zentral-Nervensystem weiter. Diese Information wird ins Großhirn zur Verarbeitung geleitet und es kann sofort erkennen, daß keine Gefahr besteht.

Die Funktionsweise des Übersäuerungs-Toxins in Bezug auf Glycin (Prinzipdarstellung)
Die Einleitung einer Flucht- oder Kampfreaktion ist also nicht nötig. Daher ergeht nun an das Zentral-Nervensystem unmittelbar der Befehl: Entspannen!

Dazu wird ein Impuls über die Nerven geschickt, um nun einen anderen Neurotransmitter – nämlich Glycin – freizusetzen.

Nachdem das Glycin die Endknöpfchen verlassen hat, dockt es sofort an seinen zugehörigen Rezeptoren, den Glycin-Rezeptoren, an.

Dort beruhigt es die zuvor entstandenen Erregungszustände. Wir entspannen uns.

Unter der Einwirkung des Übersäuerungs-Toxins ist das aber nicht möglich, denn die Toxine haben die Rezeptoren bereits besetzt.

In dem Moment, in dem die Endknöpfchen Glycin ausschütten und sich die Glycin-Rezeptoren öffnen, setzt sich sofort ein Übersäuerungs-Toxin an den Rezeptor.

Damit ist dieser Rezeptor blockiert und der eigentliche Neurotransmitter, nämlich das Glycin, hat keine Möglichkeit mehr, sich mit dem Rezeptor zu verbinden und seine erregungshemmende Wirkung zu entfalten...

Die Dauererregung des Zentral-Nervensystems führt den Körper schließlich in eine langanhaltende Streßsituation. Dies wiederum ergibt eine allgemeine Körperübersäuerung, was für die Borrelien bedeutet, daß ihre Toxine die gewünschte Wirkung erzielt haben.

Kritisch ist zudem, daß nach jeder solcherart gestörten Erregungshemmung Nervenzellen im Zentral-Nervensystem zugrunde gehen – was natürlich wiederum eine unendliche Folge an Symptomen nach sich zieht.